Vorteile einer Stadtbahn gegenüber einem Bussystem
Dieser Beitrag bezieht sich auf eine Nachfrage eines Nutzers auf Mastodon zum Thema Stadtbahn in Kiel. Sein Beitrag findet sich unter https://ieji.de/@JochenF/113534179063345783
Meine Antwort dazu lautet:
- Kosten: Ja neue Infrastruktur kostet Geld. Dem gegenüber steht aber auch ein Nutzen. Rein rechnerisch ist der 1:1,46. Das heißt für jeden Euro den es uns kostet wir 1,46 € zurück bekommen. Das ist jetzt etwas abstrakt. Konkret gehe ich auf persönliche Vorteile durch die Stadtbahn weiter unten ein.
- Lärm: Heutige neue Stadtbahnen sind leiser als Busse, weil man Schienen akustisch entkoppelt und man heute die Räder einzeln aufhängt und in der Kurve einlenken kann (wenn man das so bestellt). Man kann das u.a. schön in Linz und Erfurt sehen, dass Trams in der Stadt nicht laut sind. Alte Systeme haben das nicht. Aber wir bauen ja ein Neues auf.
- Gewicht: Keine Ahnung was du damit meinst. Gegenstände haben gewicht.
- Baustellen: Wenn etwas gebaut wird, gibt es Baustellen. Aber es wird natürlich nicht die gesamte Stadt von Wellingdorf bis zur Uni aufgerissen um die erste Trasse zu bauen. Die Baustelle wird also durch die Stadt wandern. In Urbanen Gebieten wie z.B. der Holtenauer Straße muss die Straße sowieso in ein paar Jahren aufgerissen werden, weil unsere Kanäle alt sind und ersetzt werden müssen. Wenn wir nicht alles verkommen lassen wollen, wie der Bund z.B. das bei Autobahnen und der Bahn getan hat, müssen wir mit Baustellen leben. Aber die Baustellen stören je Abschnitt nur relativ kurz und danach ist dann 30 Jahre Ruhe. Kurz die Auswirkungen sind nur kurzfristig.
- Die Stadtbahn ist keine Verkehrsbehinderung. Weder für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer.
- Baustellen behindern alle Verkehrsträger. Man kann das aber so managen, dass die Auswirkungen minimal sind. Für Trams kann man u.a. auch temporäre Gleise auf Straßen legen um Absperrungen zu umgehen. Da aber unter der Trasse alles gerichtet sein wird, muss man dort nicht ran. Das heißt dieses Szenario ist maximal spekulativ.
- Holtenau und Friedrichsort werden nicht abgehängt. Buslinien werden ja nicht einfach eingestellt. Es gibt dazu einen ausführlichen Busnetzplan, die den Kieler Norden anbinden. Es gibt darüber hinaus noch weitere Überlegungen, die die Stadt bereits vorbereitet. Zum Beispiel eine Schnellbuslinie vom Norden über den Olof-Palme-Damm mit Haltestelle an der Überführung der Ohlshausenstraße. Dort kann dann in die Stadtbahn gewechselt werden.
- Stadtbahnen sind überall wo sie fahren und wo sie errichtet werden deutliche beliebter als Busse. Schienenfahrzeuge werden von Nutzern als angenehmer wahrgenommen. Wenn das bei dir nicht so ist, bist du halt eine seltene Ausnahme.
- Die Taktung wird nicht schlechter als heute. Sie wird sogar besser. Die Stadtbahn soll alle 10 Minuten fahren. Pro Linie. Aktuell haben die Busse einen Takt von alle 15 Minuten aber das nicht über die gesamten Tag.
Nun noch zu den Vorteilen für ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer. Die Liste ist sicher nicht vollständig.
a) Der Einstieg ist wirklich barrierefrei, weil die Bahn bis auf 3-5 cm an die Haltestelle heranfahren kann. Man kann die Haltestelle und den Innenraum der Bahn auf die selbe Höhe bringen. Das geht beides mit Bussen systembedingt nicht. Auch nicht in den Niederflurbussen, die wir in Kiel haben. Deshalb müssen Rollstuhlfahrer eine Klappe benutzen und das bedeutet sie benötigen Hilfe. Das ist nicht barrierefrei.
Von diesem tollen Feature profitierten aber auch viele andere. Menschen mit Kinderwagen, Menschen mit Rollator, Menschen, die schwere Gegenstände mitnehmen, Menschen die sonst nicht gut zu Fuß sind. Und für den Rest ist es auch angenehmer.
b) Die Tram fährt ruhiger. Es gibt sehr viele Menschen, die im Bus nicht lesen können, weil die Wackelei durch das Fahrwerk bei ihnen Reisekrankheit auslöst. In Trams tritt das deutlich seltener auf.
c) In der Tram ist mehr Platz. Das bedeutet man kann besser arbeiten oder andere Dinge tun während man transportiert wird. Es gibt mehr Platz für Kinderwagen. Heute ist das in Stoßzeiten nicht gegeben. Auch wenn irgendwelche Hugos meinen wenn sie Bus fahren sei immer leer. Die Wahrheit ist, dass es gerade zu Stoßzeiten bei denen viele Menschen unterwegs sind, Platz Mangelware ist. Mehr Platz ist als zwingend erforderlich.
d) Trams kann man skalieren. Die Stadt könnte z.B. so wie München 3 Wagen und 2 Wagen Trams kaufen. Diese können dann nach Bedarf kombiniert werden um unterschiedlich viel Platz je nach Tageszeit zu bieten. Mögliche Kombinationen sind 1×2,1×3,2×2,2+3,2×3. Das geht bei Bussen nicht. Und alles kann mit einem Fahrer gefahren werden.
e) Wir brauchen pro Fahrgast weniger Fahrer. Das ist besonders im Anbetracht des Fachkräftemangels bei Fahrern eine sehr gute Sache. Zudem kann man für die heutigen Fahrer bessere Arbeitsbedingungen anbieten was den Beruf attraktiver macht und damit ausfällen besser vorbeugen. Für Fahrgäste bedeutet das weniger Ausfälle.
f) Dort wo die Stadtbahn gebaut wird, wird der Straßenraum aufgewertet. Wir erhalten angenehmere Plätze, deren Aufenthaltsqualität besser ist als heute. Klar das ist jetzt für jemand aus Schilksee nicht wichtig. Es ist aber essentiell für die Menschen in der Stadt und dort leben nun mal die meisten Kieler.
g) Da Stadtbahnen sehr angenehm zu nutzen sind, werden diese auch mehr Menschen nutzen. Sie werden dafür oft das Auto stehen lassen. Das zeigen alle anderen Stadtbahnprojekte im In- und Ausland. Das bedeutet auch, dass die Straßen weniger überlastet sind. Viele innerstädtische Pendler könnten davon profitieren und müssten nicht mehr mit dem Auto fahren. Was zur Rushhour anstrengend ist. Nichts was man nach einem langen Tag auf Arbeit braucht.
h) Die Stadtbahn fährt weitestgehend auf eigener Trasse. Das heißt, sie kommt selten in Konflikt mit anderen Verkehrsträgern und damit steigt ihre Zuverlässigkeit. Davon profitiert jeder ÖPNV-Nutzer. Mehr Zuverlässigkeit sorgt auch zu weniger Angst Anschlüsse zu erreichen. Auch das trägt zu mehr Komfort für ÖPNV-Nutzer bei.
i) Die Stadtbahn ist deutlich energiesparsamer pro Passagier als ein Bus oder E-Bus, weil das Radschiene-System deutlich weniger Reibungsverluste hat als Gummireifen auf Straßen. Sie kann Energie besser ins Netz zurückspeisen. E-Busse können die Energie nur in Batterien speichern was deutlich mehr Verluste bringt.
j) Die Stadtbahn-Fahrzeuge werden mit 30 Jahren kalkuliert, Busse nur mit 13 Jahren. Und bestehende Tram zeigen, dass diese auch nach 30 Jahren mit wenig Aufwand modernisiert werden können. Das schafft auch Arbeit vor Ort. Das sorgt zusammen mit weniger Fahrern und weniger Strom zu geringeren Betriebskosten. Langfristig ist es also eh billiger eine Stadtbahn zu haben.
Und noch was zum Schluss: Die Stadtbahn wertet die Stadt insgesamt auf und macht sie attraktiver. Wenn das Kernnetz steht, kann es in Zukunft auch erweitert werden. Das wird auch schon jetzt mit berücksichtigt. Wenn dann in den nächsten Dekaden die Brücken über den Kanal erneuert werden müssen, kann Platz für die Tram gleich berücksichtigt werden. Ebenso kann sie in den Kieler Süden verlängert werden. Dazu werden schon heute Flächen in Plänen freigehalten. Und man muss nicht persönlich davon profitieren. Es sollte einem auch reichen wenn ein Großteil der Menschen in Kiel davon profitiert. Und bitte bedenken die Brooklyn-Bridge in New York konnte mehr als 420 000 Menschen am Tag nach New York bringen als darauf noch eine Straßenbahn verkehrte. Diese wurde abgebaut. Heute sind es nicht mehr als 180 000 am Tag.