Leise Städte, laute Städte
Viele Menschen ziehen auf’s Land – genauer in die Speckgürtel von Städten, Großstädten und Metropolen – weil Städte laut, stickig und gefährlich sind. Gerade für Kinder sei das Landleben besser als das Stadtleben, weil sie dort draußen spielen könnten, es Natur gibt und der eigene Garten größer sein kann. Auf einer individuellen Ebene ist es nachvollziehbar so zu handeln, aber gleichzeitig trägt die Zersiedlung der Landschaft zu mehr Autoverkehr bei. Die Wege zur Arbeit, Arzt, Kultur und Konsum werden weiter. Ein Grund sich die Frage zu stellen: Warum sind Städte eigentlich laut?
Dieser Frage ist Not Just Bikes im unten stehenden Video nachgegangen. Kurze Antwort: Städte sind nicht laut, Autos sind es. Details dazu im Video oder weiter unten im Text. Als weitere Quelle zum Thema sei hier noch das Buch Curbing Traffic von Melissa und Chris Bruntlett [3] erwähnt auf der auch das Video aufbaut.
Lärm-Verschmutzung
Lärm kann sich negativ auf Menschen und Tiere auswirken. So können wir uns in lauter Umgebung schlechter konzentrieren und auch die Kommunikation ist dort erschwert. Die WHO stuft Geräusche ab 55 dB als schlecht für die menschliche Gesundheit ein. Laut European Environment Agency (EEA) leben 65% der Europäer in einer Umgebung, die lauter ist als 55 dB. Nachts gelten bereits 40 dB als Beeinträchtigung [2].
Lärm stört den Schlaf, ist Ursache von Herz-Kreislauf-Erkrankung und gilt als ein Faktor für Fettleibigkeit [4]. Es führt zudem zu Verhaltensänderungen und Gentrifizierung. So wurde u.a. festgestellt, dass laute Städte dazu führen, dass Menschen weniger miteinander reden, sie weniger bereit sind Fremden zu helfen, ruhig zu bleiben und großzügig zu sein. Sie beenden eher vorzeitig Konversationen, regen sich schneller auf, sind eher schlecht gelaunt und streitsüchtig [1].
Wer macht den Krach?
Hauptquelle für Lärm in Städten ist der motorisierte Verkehr – vordringlich Autos und LKWs, aber auch Mopeds. Während Autos und LKWs den meisten Lärm verursachen, sind die Fahrer*innen in den schalldichten Fahrzeugen davon geschützt. Während Hupen außerhalb des Autos 100 dB erreicht und sich Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu Tode erschrecken, ist es im Auto nur begrenzt zu hören.
Bei Autos werden meist die Motorengeräusche als Primärquelle angesehen, auch weil das Aufheulenlassen von Motoren bei manchen zum Verhalten im Straßenverkehr zählt. Dabei wird überhört, dass auch die Räder auf der Straße Lärm verursachen. Ab 30 km/h sind die Räder gut zu hören und ab 50 km/h ist das Rollgeräusch lauter als der Antrieb.
Lärmreduktion in Delft
Lärm wird als spezifische Eigenschaft von Städten wahrgenommen. Dass es so nicht sein muss, zeigen viele Städte in den Niederlanden. In Delft wurden in der Vergangenheit vielerlei Maßnahmen ergriffen um den Lärm zu reduzieren. So gilt ein allgemeines Tempolimit von 30 km/h, es wurden viele Verkehrsberuhigungsmaßnahmen ergriffen, der motorisierte Verkehr wurde von Stadtzentrum ferngehalten und auch bei der Neugestaltung der Stadt auf Lärmreduktion wert gelegt.
Vor dem Bahnhof in Delft gab es eine Hochbahn und Autostraße. Beide waren sehr laut und wenig einladend. Mittlerweile wurde die Bahntrasse in einen Tunnel verlegt und die freiwerdende Fläche wird durch eine Tramlinie, Fahrradwege und einen Kanal genutzt. Das erlaubte Delft Wohnungen und Büros in der Nähe des Bahnhofs zu bauen. Not Just Bikes hat vor der Tür des Bahnhofs 55 dB(A) gemessen das ist in etwa so laut wie ein Kühlschrank.
2004 hat Delft seinen Marktplatz umgebaut von einem Parkplatz in einen Ort für Menschen. Heute ist es dort so leise, dass man das Gebrabbel der Gäste in den Lokalen hören kann.
Straßenlärm in Amsterdam
Für Amsterdam hat Not Just Bikes zwei Beispiele zusammengestellt. Erstens, hat er in einer ruhigeren Straße Verkehrslärm aufgenommen, sodass ein Vergleich einzelner Quellen möglich ist. Und zweitens, hat er eine Hauptverkehrsstraße mit einer Fahrrad und Tram-Route verglichen.
Geräuschmessungen
Die Geräusch-Messungen wurden alle in dB(A) durchgeführt.
- Ohne Verkehr 42 dB(A) etwas lauter als eine Bibliothek mit 40 dB(A)
- Rad 55 dB(A)
- E-Bike 60 dB(A)
- Gruppe von Radfahrer*innen 65 dB(A) das ist in etwa so laut wie eine normale Unterhaltung.
- Normales Auto 73 dB(A)
- Bus/Van, SUV und ähnlich große Autos 76 dB(A)
- Mopeds und andere 2-Takter 85 dB(A)
- Motorräder 102 dB(A)
Das Beispiel illustriert sehr schön wer die Hauptverursacher von Lärm sind. Es zeigte auch, dass schnellere Fahrzeuge lauter waren als langsame und kleine Fahrzeuge leiser als große – inkl. große Elektroautos. Diese waren nicht leiser als die Verbrenner, weil an der Messstelle relativ schnell gefahren wurde und die Teslas sehr schwere Autos sind. Anders sah das bei Microcars aus.
Vergleich Hauptverkehrsachsen
Für den Vergleich einer Hauptverkehrsstraße für motorisierten Verkehr und eine Hauptroute für Trams und Fahrräder, wurden an der Autostraße 80 dB(A) gemessen was recht laut ist und z.B. Gespräche eher unterbindet. In der Regel will man sich dort auch nicht länger aufhalten. Das Gegenbeispiel stellt die Plantage Middenlaan in Amsterdam mit seiner zweigleisigen Tram als Rasengleis dar, welche in beide Richtungen von breiten Radwegen eingerahmt werden. Die Transportkapazität der Plantage Middenlaan beträgt 12 000 Personen und entspricht einer 8-spurigen Autostraße (vgl. Experimental Study for Estimating Capacity of Cycle Lanes [6]). Jedoch ist der Lärmpegel meist < 55 dB(A) und steigt nur gelegentlich auf 76 dB(A) wenn Trams vorbeifahren.
Leise Städte
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Lärm in Städten zu reduzieren. Die wichtigsten sind, den Autoverkehr mit Verkehrsberuhigungsmaßnahmen einzudämmen und Innenstädte und lokale Zentren in Städten zu beruhigen. Dazu wird der Autoverkehr um die Zentren geleitet und zusätzlich gilt in den Zentren 30 km/h, was allein eine Reduktion um 6 dB bewirkt.
An Hauptverkehrsstraßen, bei denen höhere Geschwindigkeiten nicht umgangen werden können, kann auf Flüsterasphalt (Porous Asphalt) gesetzt werden und der Lärm um 3-4 dB reduziert werden [5]. Damit können sehr hohe Lärmschutzwände vermieden werden, welche Quartiere optisch teilen und die Lebensqualität darin reduzieren.
Es hilft auch schwere Fahrzeuge zu vermeiden und für notwendigen motorisierten Verkehr mehr auf elektrische Microcars zu setzen. Entscheidend sind aber mehr und sichere Wege für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen.
Transport kann in Städten auf kleine elektrische LKW verladen werden wie sie z.B. auf Langeoog und Helgoland eingesetzt werden. Diese sind deutlich leiser als ihre großen Pendants und zudem sicherer, weil sie eine geringere Höchstgeschwindigkeit haben und die Fahrer*innenkabine niedriger und übersichtlicher ist.
- [1]Appleyard, D. and Lintell, M. 1972. The Environmental Quality of City Streets: The Residents’ Viewpoint. Journal of the American Institute of Planners. Informa UK Limited.
- [2]Briefing: Environmental Noise: 2018. Accessed: 2022-01-02.
- [3]Bruntlett, M. and Bruntlett, C. 2021. Curbing Traffic: The Human Case for Fewer Cars in Our Lives. Island Press.
- [4]Lin Fritschi 2011. Burden of Disease from Environmental Noise: Quantification of Healthy Life Years Lost in Europe. World Health Organization, Regional Office for Europ.
- [5]Liu, M. et al. 2016. Effects of double layer porous asphalt pavement of urban streets on noise reduction. International Journal of Sustainable Built Environment. Elsevier BV.
- [6]Seriani, S. et al. 2015. Experimental Study for Estimating Capacity of Cycle Lanes. Transportation Research Procedia. Elsevier BV.